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Moment des Sterbens: Neue Erkenntnisse zeigen, was kurz vor dem Tod passiert

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Der Tod ist eines der letzten großen Rätsel des Lebens. Was geschieht in den letzten Stunden, Minuten oder Sekunden, bevor das Bewusstsein erlischt? Jahrzehntelang blieb der Sterbeprozess für die Wissenschaft eine weitgehend unbeobachtete Grenze.

Doch moderne Palliativmedizin und Neurowissenschaften ermöglichen inzwischen Einblicke – und liefern erstaunlich klare Hinweise darauf, wie der Körper stirbt.

Der langsame Abschied

Anders als in früheren Zeiten, in denen Menschen meist plötzlich starben, verläuft das Sterben heute oft schrittweise. Dank medizinischer Versorgung und Schmerztherapie können Ärzte den Übergang häufig begleiten und dokumentieren.

Nach Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zeigen sich im Vorfeld typische körperliche Veränderungen: zunehmende Müdigkeit, längere Schlafphasen, der Verlust von Appetit und Durst, eine geringere Urinausscheidung, kalte Gliedmaßen und eine blasse, wächserne Haut. Auch Atmung und Kreislauf verändern sich – das bekannte Rasseln oder Aussetzen der Atmung gilt als eines der letzten Zeichen.

Die Außenwahrnehmung nimmt allmählich ab: Zeit, Raum und Personen verlieren an Bedeutung. Doch nicht alle Sinne schwinden gleichzeitig.

Welche Sinne zuletzt bleiben

Palliativmediziner James Hallenbeck von der Stanford University hat den Sterbeprozess in seinem Standardwerk Palliative Care Perspectives beschrieben. Demnach verlieren Menschen ihre Sinne meist in einer festen Reihenfolge:

  1. Zuerst verschwinden Hunger und Durst.
  2. Danach verstummen die Sprache und das aktive Sehen.
  3. Zuletzt bleiben Gehör und Tastsinn – sie sind die finalen Verbindungen zur Außenwelt.

Das erklärt, warum Angehörige auch dann noch mit Sterbenden sprechen, wenn diese äußerlich keine Reaktion mehr zeigen. Viele Mediziner gehen davon aus, dass das Gehör bis kurz vor dem Tod aktiv bleibt.

Was im Gehirn geschieht

Warum diese Reihenfolge entsteht, hat David Hovda, Leiter des Brain Injury Research Center der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA), untersucht. Das Gehirn, so Hovda, beginne in der Sterbephase einen Energiesparmodus: Bereiche, die für das Überleben weniger wichtig sind, werden zuerst „abgeschaltet“, während andere kurzfristig überaktiv werden.

Dieser Mechanismus könnte auch die bekannte Nahtoderfahrung erklären – das Wahrnehmen eines hellen Tunnels oder Lichts. „Wenn das Gehirn beginnt, abzusterben, werden bestimmte visuelle Zentren im Gehirn angeregt“, sagt Hovda. Dadurch könne das intensive Lichtempfinden entstehen, von dem viele Überlebende nach Herzstillständen berichten.

Unerwartete Aktivität im sterbenden Gehirn

Auch die Neurowissenschaftlerin Jimo Borjigin von der Universität Michigan fand Hinweise auf erstaunliche Vorgänge im Gehirn kurz vor dem Tod. In Experimenten an betäubten Ratten, deren Herz gezielt zum Stillstand gebracht wurde, registrierte ihr Team eine plötzliche Zunahme synchroner Hirnaktivität.

„Die Gehirne zeigten eine hohe elektrische Aktivität über verschiedene Regionen hinweg – ähnlich wie bei wachen, konzentrierten Menschen“, berichtet Borjigin. Die Forscherin vermutet, dass beim Menschen ein ähnlicher chemischer und elektrischer „Aufleuchtmoment“ eintritt, wenn das Gehirn beginnt, seine Funktionen zu verlieren.

Kurzzeitig scheint das Bewusstsein dabei sogar besonders intensiv zu werden – eine mögliche Erklärung dafür, warum viele Nahtoderfahrene ihre Wahrnehmungen als „realer als real“ beschreiben.

Das große Unbekannte

Trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte bleibt der Moment des Sterbens ein Grenzgebiet, das sich nicht vollständig erforschen lässt. Sicher ist nur: Der Tod kommt selten plötzlich. Körper und Geist verabschieden sich schrittweise – und das Gehör, Symbol der letzten Verbindung zur Welt, begleitet die meisten Menschen bis zuletzt.